13.07.2016
Stiftung Warentest Finanztest
In der Internetausgabe von Finanztest/Stiftung Warentest von gestern steht:
„Widerruf Kreditvertrag Meldung
© J. Miletzki
Endlich: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über den Kreditwiderruf geurteilt – in gleich zwei Fällen. Er bestätigt: Verbraucher durften ihren Kredit auch Jahre nach Vertragsschluss noch widerrufen, wenn die Widerrufsbelehrung Fehler hat. Angesichts aktueller Kreditkonditionen kann das für Kunden sehr lukrativ sein. Loslegen können jetzt Kunden, die ihren Kreditvertrag schon widerrufen haben, zunächst aber das BGH-Urteil abwarten wollten. Sie können jetzt ihre Rechte durchsetzen.
Streit um zahllose Verträge
Seit Jahren tobt der Streit um den Kreditwiderruf. Erste Erfolge erzielten vor Jahren die Anwälte von Schrottimmobilienkäufern. Windige Vermittlertruppen hatten Verbrauchern weitgehend wertlose Immobilien als zukunftsträchtige Kapitalanlage angedreht. Doch die Klagen auf Schadenersatz scheiterten ganz oft. Auf der Suche nach einem Ausweg für ihre Mandanten stießen die Anwälte zu ihrem Erstaunen auf zahlreiche Fehler in den Widerrufsbelehrungen der Immobilienfinanzierer. Inzwischen steht fest: Rund 80 Prozent der Verträge haben Mängel. Die Folge dieser Fehler: Die Frist für den Widerruf beginnt nicht zu laufen. Auch Jahre nach Vertragsschluss und sogar nach Abwicklung des ganzen Kredits können Verbraucher den Vertrag widerrufen.
Sinkende Zinsen machen Widerruf lukrativ
Dann begannen die Zinsen zu sinken. Sie liegen heute für übliche Immobilienkreditverträge oft unter 1 Prozent, wo vor Jahren noch 4, 5 und zuweilen sogar 6 Prozent fällig waren. Das macht den Kreditwiderruf auch jenseits von Schrottimmobilienfällen lukrativ. Ab Widerruf müssen Kreditnehmer nicht mehr die teuren Zinsen von früher zahlen, sondern profitieren von den Zinssenkungen. Das spart je nach Zinssatz, Restschuld und restlicher Zinsbindung Tausende von Euro. Hinzu kommt: Banken und Sparkassen müssen herausgeben, was sie mit dem Geld ihrer Kunden erwirtschaftet haben. Das bringt je nach Zahl und Höhe der bisher gezahlten Raten noch einmal oft vier- und gar nicht selten fünfstellige Beträge. Insgesamt geht es um gewaltige Summen. test.de schätzt auf der Grundlage der Bundesbankstatistiken: Wenn alle Verbraucher alle Verträge mit fehlerhafter Belehrung widerrufen, dann kostet das die Immobilienfinanzierer rund 200 Milliarden Euro.
Immobilienfinanzierer leisteten Widerstand
Als die hohe Quote fehlerhafter Widerrufsbelehrungen bekannt wurde, widerriefen zahlreiche Verbraucher ihre Kreditverträge. Doch die Immobilienfinanzierer sträubten sich: Der Widerruf von Kreditverträgen Jahre nach Vertragsschluss sei rechtsmissbräuchlich, argumentierten sie. Eine beispiellose Klagewelle setzte ein. Vor vielen Gerichten setzten Verbraucher sich durch. Die test.de-Liste mit verbraucherfreundlichen Urteilen und Vergleichen enthält inzwischen weit über 1 000 Fälle. Doch vor allem vor den Oberlandesgerichten Schleswig, Hamburg, Bremen und Düsseldorf scheiterten Kreditwiderrufsklagen oft. Die Richter dort gaben regelmäßig den Banken und Sparkassen recht. Verbraucherschützer und -anwälte halten das für falsch. Das bei fehlender oder falscher Belehrung ewige Widerrufsrecht war Gesetz, argumentieren sie. Es sollte die Unternehmen zwingen, Verbraucher korrekt zu informieren. Wo das nicht geklappt hat, müssen die Finanzierer nach dem Willen des Gesetzes damit leben, dass Verbraucher auch heute noch widerrufen können.
Warten auf Grundsatzurteil
Schon seit Jahren landen immer wieder auch Kreditwiderrufsfälle vor dem Bundesgerichtshof. Doch die Banken und Sparkassen verhinderten in Dutzenden Fällen eine mutmaßlich verbraucherfreundliche Entscheidung der obersten deutschen Zivilrichter, indem sie kurz vor dem Termin entweder die Revision zurücknahmen oder aber den Prozessgegnern so viel Geld boten, dass diese das Verfahren von sich aus beendeten.
Voller Verbraucherschutz vom BGH
Inzwischen ist nach einer auf Wunsch der deutschen Kreditwirtschaft verabschiedeten Gesetzesänderung das Widerrufsrecht zu bis zum 10. Juni 2010 abgeschlossenen Immobilienkreditverträgen erloschen. Die waren besonders oft fehlerhaft. Und siehe da: Diesmal blieben die Parteien zweier Kreditwiderrufsstreitigkeiten hart. Der BGH verhandelte die beiden Fälle heute und urteilte. In beiden Fällen gaben die Bundesrichter den Kreditnehmern Recht. So steht jetzt endgültig fest: Der 2013 erklärte Widerruf eines im April 2008 bei der Sparkasse Nürnberg abgeschlossenen Kredit war wirksam. Die Belehrung der Sparkasse lehnte sich zwar an das gesetzliche Muster an, enthielt aber zusätzlich die Fußnote „Bitte Frist im Einzelfall prüfen“. Klare Ansage der Bundesrichter: Das ist eine erhebliche Abweichung vom gesetzlichen Mustertext. Die Belehrung gilt deshalb nicht als richtig. Tausendfach haben Sparkassen bundesweit diese Belehrung verwendet. Verbraucher, die Verträge mit einer solchen Belehrung bis Dienstag, 21. Juni 2016, widerrufen haben, profitieren jetzt vom BGH-Urteil. Allerdings haben Banken und Sparkassen nur Nutzungen in Höhe von 2,5 Punkten und nicht 5 Punkten über dem Basiszinssatz herauszugeben.
Widerruf auch noch Jahre nach Abwicklung möglich
Auch bei Widerruf eines Kreditvertrags sieben Jahre nach Abwicklung des Vertrags kann der unter Umständen noch widerrufen werden, urteilte der BGH im zweiten Fall, der heute zur Entscheidung anstand. Die HSH-Nordbank hatte einem Verbraucher im Jahr 2001 einen Kredit für den Kauf von Fondsanteilen gewährt. Der Käufer behauptete: Der Vertrag kam daheim zustande und ist deshalb als Haustürgeschäft widerrufbar. Landgericht und Oberlandesgericht Hamburg hatten geurteilt: Darauf kommt es nicht an. Sieben Jahre nach Abwicklung des Kreditvertrags sei das Widerrufsrecht jedenfalls rechtsmissbräuchlich ausgeübt. Der BGH hob diese Urteile auf und verwies den Fall zurück nach Hamburg. Das Oberlandesgericht muss jetzt klären, ob dem Kläger tatsächlich ein Widerrufsrecht nach dem Haustürwiderrufsgesetz zustand und ob der Kläger es im konkreten Fall vielleicht tatsächlich rechtsmissbräuchlich ausgeübt hat. Auch wenn der Verbraucher einen Vertrag nur deshalb widerrufe, weil sich das finanzierte Geschäft als ungünstig erwiesen habe, sei das nicht rechtsmissbräuchlich, schrieben die Bundesrichter den Richtern in Hamburg ins Stammbuch.
Branche vor neuer Klagewelle
Auf die Banken und Sparkassen kommt jetzt eine weitere Welle von Forderungen zu. Zahlreiche Fälle, in denen Rechtsanwälte Verbrauchern wegen schlechter Aussichten bei den Instanzgerichten empfohlen hatten, nach dem Widerruf zunächst nichts weiter zu unternehmen, liegen schon in den Kanzleien. Zahlreiche weitere Verbraucher hatten wie von test.de und anderen Verbraucherschützern empfohlen ihre Verträge vor Erlöschen des Widerrufsrechts widerrufen und warteten erstmal ab, wie die Rechtsprechung sich entwickelte. Nach den klaren Ansagen des Bundesgerichtshofs haben sie jetzt gute Aussichten, sich mit ihrem Widerruf durchzusetzen und sich so einen Vorteil im Gegenwert von meist 15 bis 20 Prozent der Kreditsumme zu sichern.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.07.2016
Aktenzeichen: XI ZR 501/15
Pressemitteilung des Gerichts dazu
Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.07.2016
Aktenzeichen: XI ZR 564/15″
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